Im Rahmen des 50. Jubiläums des Altenheims St. Hedwig referierte Friedrich Schumacher, Mitglied des Arbeitskreis Historisches Geretsried, über die wechselvolle Geschichte dieses repräsentativen Gebäudes, das als Gästehaus im Bewusstsein vieler Geretsrieder Bürger verankert ist. In drei Kapiteln präsentierte er die geschichtlichen Fakten.
Angestelltenheim und Gästehaus der DSC
Mit Hilfe von kürzlich aus Waldkraiburg erhaltenen Plänen – dort stand ein identisches Haus – konnte er die Funktion dieses Haus erklären, das von der Deutschen Sprengchemie (DSC) 1940 in Betrieb genommen worden ist. Dieses Haus hatte 23 Zimmer, die von ledigen Angestellten der DSC bewohnt wurden. 5 bestens ausgestattete Zimmer mit Balkon waren für ranghohe Gäste aus München oder Berlin reserviert, wenn sie die beiden Munitionsfabriken im damaligen Wolfratshauser Forst besuchten. In diesem Haus fanden sie den Komfort und die Ruhe, die kein Gasthaus in Gelting, Wolfratshausen oder Bad Tölz hätte bieten können.
Im Erdgeschoss gab es einen 130 m³ großen Raum, der der Bewirtung der Hausbewohner diente. Durch einen Raumteiler und eine Faltwand war der Raum dreigeteilt in Anrichtezimmer, Speisesaal und Gesellschaftsraum. Die Speisen wurden in der großen Küche im Kellergeschoss zubereitet, konnten per Speiseaufzug ins Anrichtezimmer geschafft und von weiblichem Personal im Speisesaal serviert werden. Da ausschließlich Männer das Haus bewohnten, wurde ihnen frisches Bier vom Fass angeboten. Die dafür notwendige Einrichtung gab es im Anrichtezimmer und im Kellergeschoss. Nach dem Essen konnten die Männer den Gesellschaftsraum oder die angrenzende 90 m³ Terrasse aufsuchen.
Auch für die Sicherheit der Hausbewohner war bestens gesorgt. Im Kellergeschoss gab es einen Luftschutzkeller bestehend aus zwei großen Räumen mit Nebenräumen, ausgerüstet Gerät, das für Notfall wertvolle Dienste leisten sollte. Wenn das Haus bei einem Luftangriff zu Schaden gekommen wäre, hätten die Überlebenden über Notausstiege das Gebäude verlassen können. Zum Glück ist dieser Notfall nie eingetreten.
Unterkunft für Heimatvertriebene und Schulgebäude
Am 30. April 1945 konnten amerikanische Truppen kampflos die beiden Munitionsfabriken im Wolfratshauser Forst besetzen. Natürlich wählten die Soldaten dieses hervorragende Haus als Quartier. Kurzzeitig diente es auch als Lazarett für Überlebende des Todesmarsches, die hier erstversorgt wurden. 1947 aber zogen die ersten Heimatvertriebenen in dieses Haus. Es waren Mitarbeiter der Firmen Pelz, Plauert und Schumann, die mit ihren Familien eine Zeitlang hier untergebracht waren.
Nach dem Krieg mussten die schulpflichtigen Kinder der Heimatvertriebenen entweder zu Fuß nach Gelting gehen oder mit der Werksbahn nach Wolfratshausen fahren. Durch den ständigen Zuzug von weiteren Heimatvertriebenen hatten beide Schulen bald ihre Kapazitätsgrenzen überschritten. In Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen mussten Bürgermeister Lorenz Graf aus Gelting und Bezirksschulrat Christian Sponsel aus Wolfratshausen eine schnelle Lösung finden. Der Architekt Fritz Noppes erhielt Anfang 1947 den Auftrag eine Planung zu erstellen, dass im Erdgeschoss des ehemaligen Angestelltenheims zwei Klassenzimmer eingerichtet werden konnten. So wurden Anrichtezimmer, Speisesaal und Gesellschaftsraum zu zwei Klassenzimmern umgebaut. Ende Januar 1948 konnte schließlich die „Flüchtlingsklasse 2c“ mit ihrer Lehrerin Maria Heinze von Wolfratshausen in das ehemalige Angestelltenheim und Gästehaus umziehen.
Jedes Jahr wuchs die Schule – sie trug den Namen „Volksschule Gelting, Zweigschule Geretsried“ – um eine weitere Klasse, so dass bald Schichtunterricht eingerichtet werden musste. Auch als Geretsried nach der Gemeindegründung im Jahr 1950 ein eigenes Schulgebäude für die Oberklassen erhalten hatte, mussten die beiden Klassenzimmer bis 1962 genutzt werden. Von 1948 bis 1962 besuchten insgesamt mehr als 1000 Kinder die Schule im Gästehaus.
Empfangs- und Verwaltungsgebäude des Altersheims „St. Hedwig“
Am 01.05.1961 ging das Gästehaus mit einem großen Grundstück in den Besitz der Caritas über. In einer angemessenen Frist mussten die Mieter das Haus räumen. Mit Schreiben vom 16.04.1962 meldete die Gemeinde Geretsried dem Caritas-Verband die vollzogene Räumung des Gästehauses. In den Jahren 1964 bis 1966 wurden ein Kindergarten und drei Wohntrakte für ein Altenheim erstellt. Das Gästehaus wurde zum Empfangs- und Verwaltungsgebäude des Altenheims umgebaut. Am 06.12.1967 wurden der benachbarte Kindergarten und das Altersheim von Weihbischof Dr. Johannes Neuhäusler eingeweiht. Die gesamten Baukosten der beiden Baumaßnahmen beliefen sich auf insgesamt 4,6 Millionen DM.
In den vergangenen 50 Jahren hat die Caritas immer wieder Umbau- und Sanierungsmaßnahmen durchgeführt, um die Bausubstanz zu erhalten, um den sich ändernden Bedürfnissen der Bewohner gerecht zu werden und die strengeren Sicherheitsvorschriften zu erfüllen. Bei der Einweihung 1967 bot das Haus Platz für 150 Personen, teils in Doppelzimmern. Heute bietet die Caritas über 100 rüstigen und hilfebedürftigen älteren Menschen in ihrer sozialen Einrichtung ein neues Zuhause.