Anlässlich des 60. Jahrestages der Gemeindegründung von Geretsried war ein Gespräch zwischen Heimatvertriebenen und Geltinger Bürgern über die Einquartierungen in Gelting in den Jahren bis 1947 vereinbart worden.
Ort: Landgasthof Alter Wirt, Gelting
Zeitpunkt: Samstag, 20. Nov. 2010 ab 19 Uhr 30.
Moderation: Werner Sebb
Die Idee stammte von Arthur Zimprich und war ursprünglich für April 2010 gedacht, wurde aber aus technischen Gründen auf den Herbst 2010 verschoben.
Zweck :der Veranstaltung war es, den Geltinger Bürgern Dank zu sagen für die Aufnahme der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge nach dem Ende des 2. Weltkrieges.
Die präsentierten Zahlen und Fakten, die zum großen Teil dem Buch „Kalte Heimat“ von Alexander Kossert entnommen wurden, decken sich weitgehend mit den in der SZ vom 07.01.2010 veröffentlichten.
In den deutschen Ostgebieten ( Ostpreußen, Pommern, Ostbrandenburg, Schlesien, Danzig ) lebten 1937 ca. 10 Millionen Menschen.
Für Osteuropa (Baltikum, Polen Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Sowjetunion) wird die Zahl der dort lebenden Deutschstämmigen mit ca. 8,2 Millionen angegeben.
Das ergibt eine Gesamtzahl von ca. 18,2 Millionen
Ab Herbst 1944 wurden davon ca. 14 Millionen vertrieben,
ca. 2,5 Millionen blieben oder mussten bleiben.
Das bedeutet, dass ca. 1,7 Mio. umgekommen sind, davon sicher eine größerer Zahl im 2. Weltkrieg gefallener Wehrmachtsangehöriger. Trotzdem müssen hunderttau sende bei Flucht und Vertreibung ihr Leben verlo ren haben.
Von den 14 Mio. Flüchtlingen und Heimatvertriebenen sind ca. 1,7 Mio. nach Bayern gekommen, davon nach einer Auflistung von Fritz Noppes, Stichtag 30. Juni 1948 11 302 in den Altlandkreis Wolfratshausen.
Das mit Abstand größte Kontingent von 1482 Personen - entspr. 13,1 % - kam in den Gemeindebereich Gelting.
Der überwiegende Teil davon war im Barackenlager Gartenberg und in den Werksgeländen der DAG und DSC untergebracht und soll bei den folgenden Betrachtungen und Gesprächen nur am Rande erwähnt sein, weil in diesem Fall Einheimische und Fremde meist nicht direkt mit einander konfrontiert waren. Allerdings hatte die Gemeinde Gelting mit der Verwaltung dieses Bevölkerungsteils eine Menge Arbeit und Belastung zu tragen, was letztlich ja zur Bildung einer eigenen Gemeinde Geretsried führte. Abgesehen von ausgebombten Großstädtern, die mit zunehmenden Angriffen auf München ihre Wohnungen verloren hatten und aufs Land evakuiert wurden, kamen in den letzten Kriegsmonaten schon die ersten Flüchtlinge aus den deutsch besiedelten Gebieten Osteuropas hier an.
In Jugoslawischen, genauer gesagt im zugehörigen Banat und in der Batschka, war bereits im Spätsommer 1944 die gezielte Verfolgung, Internierung und Vertreibung der deutschen Bevölkerung durch marodierende Partisaneneinheiten angelaufen. Viele, die konnten, flohen und landeten schließlich auf deutschem Reichsgebiet. Im Zuge dieser Bewegung entschlossen sich in Anbetracht der näher rückenden Front auch seit Jahrhunderten in Ungarn lebende Deutsche, z.B. hunderte von Bewohnern der Ortschaft Pusztavam, zur Flucht. 73 davon landeten nach ca. 1-monatigem Marsch mit 31 Gespannen am 6. Januar 1945 in Beuerberg. Einzelne Familien aus Jugoslawien trafen ebenfalls hier ein.
Die große Ausweisungswelle begann aber erst mit dem Ende der Potsdamer Konferenz am 8. August 1945, als die (humane !!) Ausweisung der Deutschen aus den osteuropäischen Gebieten beschlossen war.
Ich erwähne das alles, um die Hintergründe dieser erzwungenen größten Völkerwanderung aller Zeiten zu erläutern. Dass dafür letztlich die verhängnisvolle Politik der Nationalsozialisten verantwortlich ist kann kein vernünftig denkender Mensch ernsthaft bezweifeln. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese Massenvertreibungen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind.
Im Gemeindegebiet Gelting landeten in Abständen drei– genau genommen vier -Transporte mit Heimatvertriebenen. Der erste, aus Graslitz mit 554 Personen, bei dem sich auch meine Familie befand, kam am 7. April 1946 vor dem damaligen Lager Buchberg an. Im Juni trafen zwei Gruppen von Landsleuten aus Tachau ein, und im Oktober kamen ca. 100 Personen aus der Gegend von Karlsbad.
Es gab bei der Einquartierung von Millionen Menschen in unser völlig zerstörtes Land wie überall so auch in Bayern, große Widerstände . A. Kossert liefert dafür in seinem Buch unzählige Beispiele. Das ist durchaus verständlich. Man stelle sich vor, es käme heute jemand zu uns und würde verlangen, dass wir wildfremde Menschen in unser Haus aufnehmen und Zimmer räumen sollen. Kossert ist sogar der Ansicht, dass die Integration der Heimatvertriebenen in etlichen Bereichen auch heute noch nicht vollständig erfolgt ist. Er liefert dafür zahlreiche Belege.
Dass es in vielen Fällen auch anders ging wollen wir mit der heutigen Veranstaltung beweisen.
Ein Hinweis sei mir, bevor wir die Zeitzeugen zu Wort kommen lassen, aber noch erlaubt:
Als wir und unsere Leidensgenossen hier ankamen befanden wir uns in einem erbärmlichen Zustand. Uns waren nur 50 kg Gepäck pro Person erlaubt worden. Da musste man sehr genau überlegen, was wichtig und weniger wichtig war. Bei der Kleidung galt es sich sehr einzuschränken. Natürlich sahen wir recht ärmlich aus, was uns oft die Bezeichnungen Grattler, Gschwerl und ähnliches einbrachte. Solche Begriffe geistern noch heute durch manche Köpfe.
Dass wir aus Gegenden kamen, die hoch industrialisiert und von Wohlstand gekennzeichnet waren konnte man auf den ersten Blick nicht erkennen und interessiere viele Einheimische auch nicht.
Es galt, viele Vorurteile zu überwinden, manche bestehen immer noch.
Zum Glück aber gab es viele Alteingesessene, die trotz widriger Umstände und der allgemeinen Not, die damals herrschte, die Neuankömmlinge verständnisvoll und freundlich aufnahmen und ihnen Unterkunft gewährten. Dafür soll ihnen heute gedankt werden.
Werner Sebb
Vortrag von Herrn Walko bei unsrer Veranstaltung am 20.11.2010
"Aufnahme in der Fremde"
im Altwirt Gelting.